Russland
Russia – Länderbericht – Lisa Sronipah
Einführung
Wladimir Putin übernahm zu Ende des Jahres 1999 zunächst kommissarisch das Amt des Präsidenten aufgrund des Ruhestandes des vorherigen Präsidenten Boris Jelzin. Putin hatte das Amt von 2000 bis 2008 inne. Im Anschluss war er für vier Jahre Premierminister, bis er 2012 ins Präsidentenamt zurückkehrte. Eine Verfassungsänderung verlängerte die Amtszeit des Präsidenten bis auf sechs Jahre. Eine weitere Änderung aus dem Jahre 2020 ermöglicht es Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Folglich könnte Putin bis 2036 Präsident Russlands bleiben. Sowohl vor als auch nach den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2018, die Wladimir Putin gewann, ging die russische Regierung verstärkt gegen kritische Stimmen vor, um die Teilnahme der Opposition an politischen Prozessen zu unterbinden. Ein prominenter Fall ist der Oppositionspolitiker und Aktivist Alexej Nawalny, der im August 2020 mit einer Form von Nowitschok, einem Nervenkampfstoff, vergiftet wurde, während er in Sibirien gegen Korruption ermittelte und Wahlkampf für unabhängige Kandidaten für die Kommunalwahlen führte. Derselbe Nervenkampfstoff wurde damals bei dem Anschlag auf den ehemaligen russischen Geheimdienstmitarbeiter Sergej Skripal im Vereinigten Königreich im Jahre 2018 verwendet.
Der Anschlag auf Nawalny wurde vom Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) verübt. Wegen solcher Vorfälle ist es erforderlich, die Menschenrechtslage in Russland genauer zu analysieren. Seit Jahren ist die russische Politik von isolationistischen und antiwestlichen Tendenzen gekennzeichnet. Menschenrechte werden als eine westliche Idee, die inkompatibel mit der russischen Tradition ist, angesehen. Im Gegensatz zu dem „Westen“, der Individualismus und das materielle Wohlergehen der Menschen in den Mittelpunkt stellt, wird in Russland Dissens mit Hilfe verschiedener Mittel, wie zum Beispiel Gesetzen oder Gewalt, verhindert und das Streben nach einer höheren Moral gefördert.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Im November 2012 trat das sogenannte „Agentengesetz“ in Kraft. Danach werden
Nichtregierungsorganisationen (NGO) beim russischen Justizministerium als ausländische Agenten registriert, wenn sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Der Begriff „ausländischer Agent“ lässt sich im Russischen mit den Wörtern „Spion“ oder „Verräter“ gleichsetzen. Die Aktivität solcher zivilgesellschaftlichen Organisationen wird stark eingeschränkt, da sie strengen Berichtspflichten und Kontrollen unterliegen. Bei Veröffentlichungen müssen sie immer auf das stigmatisierende Label „ausländischer Agent“ hinweisen. Bei Verstößen gegen das „Agentengesetz“ drohen den Mitarbeiter:innen der Organisationen Geldstrafen, Razzien, Festnahmen und Haftstrafen. Mittlerweile sind fast alle Menschenrechtsorganisationen in Russland als „ausländische Agenten“ registriert. Dies hat zur Folge, dass sie ihre Arbeit einstellen mussten.
Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit
Sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Pressefreiheit werden in Russland nicht garantiert.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit der „Reporter ohne Grenzen“ steht Russland auf Platz 149 von 180 Staaten. Journalist:innen und Blogger:innen werden schikaniert, strafrechtlich verfolgt und tätlich angegriffen. Zum Beispiel wurde am 30. Juni 2020 der Reporter David Frenkel in einem Wahllokal in Sankt Petersburg von Polizisten angegriffen. Dabei brach er sich den Arm. Am 15. Oktober 2020 wurde Sergej Plotnikov, ein Journalist aus Chabarowsk, von maskierten Männern entführt. Diese misshandelten ihn körperlich, trieben ihn in den Wald und fingierten dort eine Hinrichtung. Nach seiner Freilassung zeigte er den Vorfall bei der Polizei an, ein Ermittlungsverfahren wurde jedoch noch nicht eingeleitet.
Insbesondere internationale Plattformen und Medien, die internationale Gelder zur
Finanzierung ihrer Arbeit erhalten, werden durch das „Agentengesetz“ stärker ins Visier genommen.
Ein neues Gesetz über ein eigenständiges russisches Internet aus dem Mai 2019 macht die Ausmaße der Zensur in Russland deutlich. Dieses Gesetz gibt den russischen Behörden die Möglichkeit, im Gefahrenfall das russische Internet vom weltweiten Netz abzukoppeln.
Mithilfe einer neuen Technik kann die Medienaufsichtsbehörde verbotene Seiten direkt sperren, ohne Provider in den Prozess zu involvieren. Durch eine verbesserte Überwachungstechnik soll die Effektivität bei Blockaden von bestimmten Inhalten und Plattformen gesteigert werden. Im Herbst 2019 wurde die neue Technik im Verwaltungsgebiet Ural getestet.
Restriktive Gesetze schränken die Meinungsfreiheit ein. Ein Gesetzespaket aus dem März 2019 stellt die Verbreitung angeblicher „Falschinformationen“ und „respektloser“ Äußerungen über den Staat unter Strafe. Dieses Gesetz wurde am 1. April 2020 geändert. Danach ist es untersagt, „wissentlich Falschinformationen über Ereignisse zu verbreiten, die eine Gefahr für das Leben und die Sicherheit der Bevölkerung darstellen, und/oder über Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Bevölkerung“. Wenn die Verbreitung der Information eine Körperverletzung oder den Tod eines Menschen herbeiführt, drohen
Einzelpersonen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Für Medienunternehmen sind hohe Geldstrafen vorgesehen. Regelmäßig werden vor allem Strafverfahren gegen Aktivisten:innen, Journalist:innen und Blogger:innen eingeleitet. Aufgrund von regierungskritischen Berichten zur aktuellen Corona-Lage wurde die Zeitung Nowaja Gaseta und ihr Chefredakteur im August und im September 2020 zu Geldstrafen verurteilt. Die entsprechenden Artikel mussten gelöscht werden.
Recht auf Versammlungsfreiheit
Die Versammlungsfreiheit wird von der Regierung stark eingeschränkt. Während kremelnahe Gruppen sich frei versammeln können, kommt es bei regierungskritischen Demonstrationen häufig zu willkürlichen Festnahmen, denen unnötige und exzessive Gewalt gegen Demonstrierende vorausgehen. Routinemäßige Geld- und Gefängnisstrafen sind die Folge.
Nichtsdestotrotz nehmen weiterhin jährlich Tausende von Menschen an Demonstrationen gegen die Regierung teil. Allerdings ist es immer sehr problematisch, eine Genehmigung für solche Massenproteste oder Kundgebungen zu erhalten. Auf bis zu 70 % des öffentlichen
Raumes werden Versammlungen auf regionaler Ebene durch weitreichende Gebietsbeschränkungen verboten. Beispielsweise wurden am 15. Juli 2020 mehr als 100 Menschen bei einer friedlichen Demonstration gegen Verfassungsänderungen willkürlich von Polizist:innen festgenommen. Mindestens drei wurden von der Polizei brutal geschlagen.
Dutzende Protestierende wurden mit hohen Geldstrafen belegt oder für fünf bis 14 Tage inhaftiert.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen
Seit 2013 ist ein föderales Gesetz, das sogenannte „Propaganda-Gesetz“, in Kraft. Das Gesetz bezweckt den Schutz von „Kinder[n] vor Informationen, welche die Ablehnung traditioneller Familienwerte fördern“ und verbietet „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen unter Minderjährigen“. Mit der Verabschiedung des Gesetzes ging die Zunahme der Stigmatisierung und der homofeindlichen Gewalt gegen LGBTQI+-Personen einher. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärte das Gesetz 2017 für diskriminierend und konstatierte, dass es gegen die Meinungsfreiheit verstößt. Der EGMR entschied auch, dass Russland durch das Verbot von LGBT+-Demonstrationen im Jahr 2018 gegen die Menschenrechte verstößt. Trotz der Gerichtsentscheidungen bleibt das Gesetz in Kraft.
Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen die Diskriminierungen, die LGBTQI+-Personen in Russland erfahren. Die LGBTI-Aktivistin Evdokia Romanova teilte in den Jahren 2015 und 2016 in den sozialen Medien Links zur Internetseite der internationalen Organisation „Jugendkoalition für sexuelle und reproduktive Rechte“ (Youth Coalition for Sexual and Reproductive Rights). Aufgrund dieser Aktion wurde sie von einem Gericht in Samara wegen „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ zu einer Geldstrafe von 50.000 Russischen Rubel (etwa 570 €) verurteilt.
Zudem wurde die Künstlerin und Aktivistin Yulia Tsvetkova Opfer homofeindlicher Kampagnen, da sie sich für Frauenrechte und LGBTQI+-Rechte engagiert. Am 22. November 2019 wurde Yulia Tsvetkova unter Hausarrest gestellt. Gegen sie wurde eine „Untersuchung“ wegen „Herstellung und Verbreitung von pornografischem Material“ eingeleitet, im Falle einer Verurteilung drohen ihr bis zu sechs Jahre Gefängnis. Aufgrund ihrer Administratoren-Tätigkeit bei zwei LGBTQI+-Communities wurde am 11. Dezember 2019 eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Rubel (etwa 570 €) gegen sie verhängt. Die Gerichtsentscheidung wird damit begründet, dass Yulia Tsvetkova auf diesen Plattformen für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen wirbt. Obwohl sie sich seit dem 16. März 2020 nicht mehr im Hausarrest befindet, wird ihre Reisefreiheit stark limitiert. Am 1. Juli 2020 legte die Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung unter anderem fest, dass der Staat die Ehe als „Verbindung aus Mann und Frau“ zu schützen habe. Dadurch wird die Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Ehen unmöglich. Aufgrund der Verfassungsänderung wird das feindselige Klima gegen LGBTQI+-Rechte durch die
Regierung unterstützt und legitimiert.
Folter und Haftbedingungen
Übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei ist allgegenwärtig. Um sichtbare
Verletzungen zu vermeiden, werden von den Strafverfolgungsbeamt:innen zum Beispiel Elektroschocks eingesetzt. Die Haftbedingungen sind miserabel. Die russischen Gefängnisse sind überfüllt und unhygienisch. Außerdem werden die Häftlinge von den Wärter:innen sowohl physisch als auch psychisch misshandelt. Im August 2018 veröffentlichte die Nowaja Gaseta Videos von Wärtern, die Gefangene in den Strafkolonien der Region Jaroslawl attackieren. Im Juli 2019 veröffentlichte Public Verdict ein weiteres Video, das anhaltende Misshandlungen in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter zu drei- bis vierjährigen Haftstrafen. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen. Verantwortliche werden somit nur milde bestraft.
Situation in Tschetschenien
Tschetschenien ist eine autonome Republik in Russland, deren Geschichte von zwei Kriegen gegen russische Föderationstruppen gekennzeichnet ist. Dabei starben tausende Zivilist:innen und Städte sowie Dörfer wurden zerstört. Seit 2007 ist Ramsan Kadyrow, der die Republik wiederaufbaute, Staatsoberhaupt. Jedoch werden die Menschenrechte der Zivilbevölkerung weder verteidigt noch geschützt. Um die politische Stabilität zu wahren, setzt die Regierung Sicherheitskräfte ein, die die Tschetschen:innen terrorisieren, rechtswidrig festnehmen, verschwinden lassen, foltern oder sogar töten. Glaubwürdige Nichtregierungsorganisationen
und unabhängige Medien veröffentlichten Berichte, die bestätigen, dass lokale Behörden in Tschetschenien im Dezember 2018 bis Januar 2019 erneut eine Gewaltkampagne gegen die LGBTQI+-Community in die Wege leitete. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Russian LGBT Network wurden 40 Personen rechtswidrig inhaftiert und gefoltert. Zwei sind an den Folgen der Folter in Haft gestorben. Im Beispiel von Oyub Titiev kann die Willkürherrschaft in Tschetschenien verdeutlicht werden: Titiev ist Büroleiter des Menschenrechtszentrums Memorial im tschetschenischen Grosny. Seit Jahren klärt er mit seinen Kollegen:innen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien auf. Am 9. Januar 2018 wurde Oyub Titiev von der Polizei angehalten, als er mit seinem Fahrzeug in Grosny unterwegs war. Bei der Durchsuchung des Autos wurden angeblich Drogen gefunden.
Daraufhin wird er verhaftet und verbrachte eineinhalb Jahre in Haft. Allgemein wird davon ausgegangen, ihm seien die Drogen untergeschoben worden. Am 21. Juni 2019 wurde er auf Bewährung aus der Haft entlassen.
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Stand: 31. August 2021
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