Indonesien
Republic of Indonesia – Länderbericht – Annabel Strasser
Menschenrechtsverletzungen in Indonesien
1. Hintergrund: Wie steht es um die Grund- und Menschenrechte in Indonesien?
2017 gab der UN-Menschenrechtsrat 225 Empfehlungen bzgl. der Lage der Menschenrechte in Indonesien ab. Der darin enthaltenen Aufforderung zur Untersuchung vergangener Menschenrechtsverletzungen sowie der Aufhebung der in Gesetzen enthaltenen Blasphemie-Bestimmungen kam das Land jedoch (noch) nicht nach.
2. Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit
Seit 1965 erkennt die indonesische Regierung sechs offizielle Glaubensrichtungen an: den Islam, den Protestantismus, den Katholizismus, den Hinduismus, den Buddhismus und den Konfuzianismus.
Dabei ist zu beachten, dass trotz des religiösen Pluralismus knapp 90 % der Indonesier:innen Muslime sind. Seit mehreren Jahren ist hierbei die steigende Bedeutung einer streng orthodoxen Auslegung des Islams erkennbar.
Religionsfreiheit bedeutet nach der indonesischen Auslegung die Freiheit, sich für eine der anerkannten Religionen zu entscheiden.
Die negative Freiheit, sich gegen die Zugehörigkeit einer Religion zu entscheiden ist hingegen nicht geschützt. Der Austritt aus einer religiösen Gemeinschaft ohne zeitgleichen Beitritt in eine andere anerkannte Religionsgemeinschaft ist zwar grundsätzlich unter bestimmten Bedingungen möglich, in der Realität jedoch selten, weil die Konfessionslosigkeit zu Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, wie z.B. bei der Erlangung von Heiratsurkunden, dem Zugang zum Arbeitsmarkt, Gesundheit und Bildung, führen kann.
Die Zugehörigkeit zu einer anderen als einer der sechs anerkannten Religionen ist nicht explizit verboten, doch gegen geltendes Recht kann hierdurch trotzdem verstoßen werden.
Blasphemie stellt in Indonesien einen strafrechtlichen Tatbestand dar, der in §§ 156, 156a des Strafgesetzbuchs normiert ist und eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsieht.
Die Bestimmungen werden unter anderem dazu benutzt, Personen für schuldig zu befinden, die ihr Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit friedlich ausüben. In den vergangenen Jahren wurden beispielsweise Bürger:innen verurteilt, die sich über die Lautsprecherstärke einer Moschee beschwert hatte oder auf andere Weise „den Islam beleidigten“. Personen, die Minderheitsreligionen angehören, sind dabei besonders häufig Subjekt der Strafverfolgung.
Das Blasphemiegesetz wird hierbei auch als Mittel zur Unterdrückung alternativer Interpretationen des Islams und zur Einschüchterung religiöser Minderheiten eingesetzt, die im Einzelfall durch die indonesische Regierung wegen „Störung des öffentlichen Friedens“ verfolgt werden.
Insbesondere die zunehmend religiös beeinflusste Lokalgesetzgebung in den einzelnen Landesteilen führt zu einer Beeinträchtigung der verfassungsmäßig verankerten Religionsfreiheit. Zu solchen Einschränkungen zählen unter anderem Kleidungsvorschriften für Frauen und das Verbot von außerehelichem Sex, homosexuellen Handlungen wie auch Alkoholkonsum oder Glücksspiel.
3. Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Besonders in indonesischen Regionen, in denen Unabhängigkeitsbewegungen aktiv sind, werden Personen, die an friedlichen politischen Aktivitäten teilnehmen, verfolgt und verhaftet.
Die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden aufgrund von Gesetzen eingeschränkt, die sowohl zur Diskriminierung bestimmter Gruppen führen als auch den Diskurs über Menschenrechtsverletzungen erschweren.
Die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wird in Indonesien somit kriminalisiert. Alleine 2019 waren rund 6000 Menschen von Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung betroffen.
Friedliche Proteste werden von der Polizei immer wieder gewaltsam aufgelöst und Aktivist:innen sowie Demonstrierende verhaftet.
Im Zuge der Corona-Pandemie wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung weiter beeinträchtigt. Insbesondere geschah dies durch den Erlass einer Richtlinie der Nationalpolizei im April 2020, die Kritik an der Reaktion der Regierung auf die Pandemie unter Strafe stellte. Die Polizei wurde angewiesen, die Internetaktivitäten in Bezug auf Covid-19 zu überwachen und gegen „Lügenverbreiter“ und diejenigen, die den Präsidenten und seine Verwaltung kritisierten, vorzugehen.
Vor diesem Hintergrund wurden Menschen aufgrund ihrer Meinungsäußerung oder der Organisation friedlicher Proteste inhaftiert. Bis Juni 2020, also in den ersten drei Monaten nach Erlass der Richtlinie, wurden mindestens 51 Personen in diesem Zusammenhang verhaftet.
Mehrere Journalist:innen erstatteten in diesem Zusammenhang im Sommer 2020 Anzeige bei der Polizei, die Ermittlungen waren jedoch zum Jahresende immer noch anhängig.
4. Polizei und Gewahrsamsbedingungen
Im Rahmen von Massenprotesten und Sicherheitseinsätzen berichten NGOs über schwere Menschenrechtsverletzungen durch polizeiliche Gewaltanwendungen. Dabei kam es auch insbesondere während polizeilicher Ingewahrsamsnahmen zu Todesfällen und Folter von Gefangenen, wobei im Nachhinein keinerlei Informationen über etwaige Ermittlungen in diesen Fällen vorhanden sind.
Darüberhinaus kommt es auch vermehrt zu rechtswidrigen Tötungen von mutmaßlichen Drogendealer:innen durch die Polizei. Im Jahr 2017 wurden 98 Personen in diesem Zusammenhang von Polizeibeamt:innen getötet, die diese Tötungen entweder mit Notwehr oder mit der Flucht der Verdächtigen rechtfertigten.
Zudem gibt es in Indonesien weiterhin die Todesstrafe, unter anderem auch bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. 2019 wurden laut Amnesty International in Indonesien rund 80 Personen zum Tode verurteilt.
5. Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen und Rechte von Frauen
Seit 2016 hat sich das gesellschaftliche Klima für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle Personen (LGBTI) im Zuge einer generellen Islamisierung des gesellschaftlichen Lebens verschlechtert. In einer Umfrage von 2017 waren LGBTI erstmals die am meisten gehasste gesellschaftliche Gruppe Indonesiens.
Homosexualität ist in großen Teilen Indonesiens nicht strafbar, jedoch gibt es vereinzelte Regionen, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen und Handlungen unter Strafe gestellt werden.
Im Jahr 2017 wurden erstmals zwei Männer wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen öffentlich mit jeweils 83 Stockschlägen bestraft.
Nach homophoben Äußerungen durch Politiker:innen und islamischer Amtsträger:innen kam es wiederholt zur Auflösung oder zum Verbot von Veranstaltungen mit LGBTI-Bezug durch die Polizei. Sämtliche indonesische Medien sind angewiesen kein „LGBTI-Verhalten" darzustellen.
Grundsätzlich macht die Gleichberechtigung von Frauen* in Indonesien seit einigen Jahren in gewissen Bereichen Fortschritte. Dennoch enthalten einige gesetzliche Bestimmungen immer noch diskriminierende Regelungen. Beispielsweise sind Kinderehen für Mädchen ab 16 Jahren in Indonesien mit Zustimmung der Eltern erlaubt, mit Zustimmung eines islamischen Religionsgerichts sogar bereits früher.
Fast die Hälfte der unter zwölfjährigen Mädchen sind von weiblichen Genitalverstümmelungen, die in Indonesien nicht strafrechtlich verfolgt werden, betroffen.
Zudem sind Einschränkungen der persönlichen Freiheit weiterhin die Realität vieler indonesischer Frauen. So können viele Frauen ohne Erlaubnis keine Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen oder religiöse Praktiken ausüben.
Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie hat auch die häusliche Gewalt gegen Frauen enorm zugenommen, so berichtet die Human Rights Watch in ihrem Jahresbericht zur Menschenrechtssituation in Indonesien von 2020 von einer Zunahme der Gewalttätigkeiten gegen Frauen um 50 % im Vergleich zum Jahr 2019.
6. Covid-19
Indonesien verzeichnete Ende 2020 offiziell 22.138 COVID-19-Todesfälle (82 pro 100.000 Einwohner) und ist damit das Land mit der dritthöchsten Todesrate in ganz Asien.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass im Schatten der COVID-19-Krise die Demokratie Indonesiens zunehmend ausgehöhlt wurde und wird und damit einhergehende Menschenrechtsverletzungen vertieft werden.
Anfang Oktober wurde das umstrittene „Omnibusgesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen“ verabschiedet, nachdem öffentliche Proteste aufgrund der strikten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kaum möglich waren bzw. rigoros gegen diese vorgegangen wurde.
Des Weiteren verabschiedete das indonesische Parlament vor diesem Hintergrund einen Änderungskatalog für mehr als 70 Gesetze ohne Beteiligung und mögliche Gegenbewegungen von Gewerkschaften und pro-demokratischen gesellschaftlichen Initiativen. Auf diesem Weg wurde nicht nur das Arbeitsrecht sondern auch Umweltstandards und die Entscheidungskompetenzen der Regionen negativ beeinflusst.
Die indonesische Regierung reagierte auf die Corona-Pandemie zunächst langsam, mit niedrigen Test- und Rückverfolgungsraten. Bis August 2020 wurden in Indonesien nur rund 95.000 Corona-Tests pro Woche durchgeführt. Auf die Bevölkerung Indonesiens heruntergerechnet bedeutet dies, dass je 1.000 Einwohner nur ein Test pro Woche durchgeführt wurde.
Die indonesische Regierung ging zudem mit der Pandemie unzureichend transparent um. Nachdem im März 2020 die ersten beiden COVID-19-Fälle im Land bestätigt wurden, entschied sich das Gesundheitsministerium dazu, wichtige Daten in Bezug auf Übertragungsketten sowie Kontaktverfolgung nicht offenzulegen, und rechtfertigte dies damit, dass ansonsten Panik entstehen könnte. So wurden selbst medizinischen Einrichtungen und Verbänden keine Informationen mitgeteilt, die diese für die Kontaktverfolgungen und zur Behandlung von Patient:innen benötigten.
Im Zuge der Pandemie wurden in Indonesien sämtliche öffentliche Schulen geschlossen und auf Homeschooling umgestellt. Dies stellte für das Land eine enorme Herausforderung in Bezug auf Infrastruktur und soziale Gerechtigkeit dar. Denn laut Schätzungen nutzen nur knapp 50 Prozent der Indonesier:innen das Internet, weshalb der Unterricht zum Teil über das landesweite Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Schließlich könnten die Fortschritte bei der Armutsbekämpfung in den letzten zehn Jahren pandemiebedingt zunichte gemacht worden sein, wobei Prognosen zufolge die Armutsquote von 9,2 Prozent im September 2019 auf 12,4 Prozent im September 2020 steigen wird.
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Stand: 19. Juni 2021
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